Ist „klimaneutrale Milch“ bei Aldi nur Marketingtrick?
Die Verbraucherschutzorganisation foodwatch wirft Aldi Kundentäuschung vor.
Das Thema Klimaschutz ist auch bei den Handelskonzernen angekommen – zumindest in den Marketingabteilungen, denn plötzlich setzen alle auf mehr Tierwohl, auf die Reduktion von Plastik und auf Klimaschutz. Letzteres hat dem deutschen Discounter Aldi nun heftige Kritik der Verbraucherschutzorganisation foodwatch eingebracht.
Der Konzern bietet neben Pflanzendrinks auch „klimaneutrale“ Milch an. Eine Analyse von „foodwatch“ kann dies jedoch nicht bestätigen. Im Gegenteil. Die Verbraucherschützer bezeichnen die Aldi-Milch als ein Musterbeispiel von Greenwashing.
Konkret handelt es sich um die Landmilch des Discounters, die als Eigenmarke unter dem Namen FAIR & GUT geführt wird. Mit einem Preis von 1,09 Euro ist die Milch nicht nur preiswert, sondern angeblich auch klimaneutral.
„Unsere erste klimaneutrale Milch: Alle CO2-Emissionen, die entlang der Lieferkette unserer Milch entstehen, werden durch Klimaschutzprojekte vollständig ausgeglichen“, beschreibt Aldi das Produkt auf der Website von Aldi Süd.
Aldi erklärt darin auch, wie klimaneutrale Produkte erzeugt werden:
„Für klimaneutrale Produkte gleichen wir alle CO2-Emissionen, die entlang der vorgelagerten Lieferkette bis zur ALDI SÜD Filiale entstehen, vollständig aus. Das gelingt uns, indem wir in zertifizierte Klimaschutzprojekte investieren. Dabei arbeitet ALDI SÜD eng mit den Klimaschutzexperten von ClimatePartner zusammen.“
Quelle: Klimaneutralität bei Aldi
Die Milch wird übrigens auch bei Aldi Nord vertrieben.
In einer Pressemitteilung von foodwatch vom 22. Juni 2022, die auf der Website des Verbraucherschützers veröffentlicht ist, kritisiert Manuel Wiemann:
„Greenwashing mit Klima-Labeln liegt im Trend – die vermeintlich klimaneutrale Aldi-Milch ist ein Musterbeispiel dafür. Der Discounter rechnet ein per se nicht klimafreundliches Produkt mit fragwürdigen CO2-Zertifikaten grün.“
Weiters heißt es darin:
„Verbraucher*innen können sich auf Klima-Werbung überhaupt nicht verlassen. Wir brauchen ein Verbot von Umwelt-Werbelügen und endlich wirksame Klimaschutz-Gesetze, die auch die Landwirtschaft in die Pflicht nehmen.“
Quelle: foodwatch
Der Vorwurf
Aldi bewirbt seine FAIR & GUT Landmilch 3,8 % Fett als „klimaneutral“ mit dem Logo von Climate Partner. Die Milch wird als Eigenmarke bei Aldi Nord und Süd vertrieben und von der Molkerei Gropper hergestellt, die wiederum von vielen Landwirt*innen mit Milch beliefert wird. In der Kritik heißt es: „Aldi macht weder der Molkerei noch den beteiligten Landwirt*innen Vorgaben, wie stark sie ihre Emissionen senken müssen. Die Molkerei Gropper, und damit auch Aldi, kann nicht einmal den genauen Emissionsausstoß der Milch und der Kühe beziffern. Das konterkariert jeglichen Klimaschutz.“
Doch seit November 2020 wird diese Milch als „klimaneutral“ verkauft. Das, obwohl verbindliche Reduktionsmaßnahmen für die Landwirt*innen bisher fehlen. Also weder die Molkerei Gropper noch Aldi selbst haben laut Analyse von foodwatch einen Überblick, wie hoch der Treibhausgasausstoß der Zulieferbetriebe ist. Erst ab Oktober – also zwei Jahre nachdem das Produkt als „klimaneutral“ eingeführt wurde – sollen „die genauen Emissionswerte der Rohmilch vorliegen.“ Die Molkerei Gropper soll foodwatch in einem Mail bekannt gegeben haben, dass man mit der Planung von Reduktionsmaßnahmen starten könne, wenn die Treibhausgasmissionen der einzelnen Milchlieferbetriebe im IST vorliegen.
Kompensationspojekte umstritten
foodwatch kritisiert außerdem, dass Aldi die Emissionen der Milchherstellung nicht konsequent reduziere, sondern zum CO2-Ausgleich Zertifikate von Kompensationsprojekten kaufe. Zwei dieser Projekte bezeichnet foodwatch als „höchst fragwürdig“ und bezieht sich dabei auf das ZDF Magazin „Frontal“, das über ein Aufforstungsprojekt in Uruguay berichtet hatte.
„In dem Projekt in Guarané werden Monokulturen aus Eukalyptus angelegt. Dabei kommen die Pestizide Glyphosat und Fipronil zum Einsatz. Aldi nutzt außerdem Zertifikate eines umstrittenen Waldprojekts in Tambopata/ Peru. Eine foodwatch-Recherche hatte im vergangenen November gezeigt, dass das Projekt nicht die Anforderungen an Kompensationsprojekte erfüllt und keine Klimaschutz-Zertifikate ausgeben dürfte. Der Handelskonzern Rewe hatte die Zusammenarbeit mit Tambopata in der Folge gestoppt“, heißt es in der Pressemitteilung.
Manuel Wiemann von foodwatch findet dafür klare Worte:
„Statt den Treibhausgasausstoß vor Ort auf dem Bauernhof so weit wie möglich zu reduzieren, betreibt Aldi billigen Ablasshandel. Der Discounter setzt zum Ausgleich der Emissionen auf Eukalyptus-Monokulturen, in denen mit dem Ackergift Glyphosat Artenvielfalt zerstört wird. Verbraucher*innen, die der Umwelt mit dem Kauf der Milch etwas Gutes tun möchten, werden dreist getäuscht.“
Climate Partner, das Vermittlungsunternehmen, mit dem Aldi eng zusammenarbeitet, weist laut t-online die Vorwürfe von foodwatch zurück.
„Die Kritik an unseren Klimaschutzprojekten berücksichtigt nicht, dass diese durch strenge Standards zertifiziert und laufend durch unabhängige, akkreditierte Auditoren überprüft sind“,
zitiert t-online Climate-Pressesprecher Dieter Niewierra.
Auch hier kontern die Verbraucherschützer und verweisen auf eine Studie des Öko-Instituts im Auftrag der EU-Kommission, die ein schockierendes Ergebnis zeigt: „Nur 2 Prozent von hunderten zertifizierten Ausgleichsprojekten halten sehr wahrscheinlich ihre Klimaversprechen.“
foodwatch spricht von einer Bankrotterklärung an Kompensationsprojekte und fordert verpflichtende Reduktionsmaßnahmen für die Treibhausgase aus der Landwirtschaft sowie ein Verbot von Umwelt-Werbelügen.
Klima-Werbung braucht Kontrolle
Grundsätzlich bewertet foodwatch Klima-Werbung auf tierische Produkte als kritisch. Immerhin entfallen Dreiviertel aller Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft auf die Tierhaltung. „Die Herstellung von Milch erzeugt hohe Mengen an Treibhausgasen, weswegen Milch grundsätzlich kein ‚klimaneutral‘-Label tragen sollte“, so die Kritik.
Ein Vorschlag der EU-Kommission für Mindeststandards für Klima-Werbung greift den Verbraucherschützern zu wenig. Der Gesetzesentwurf habe zu viele Schlupflöcher, denn es sei weiterhin möglich, klimaintensive Produkte wie Fleisch, Heizöl und Einweg-Plastik als „klimapositiv“ zu bezeichnen.
„Auf ‚klimaneutral‘-Label ist kein Verlass. Werbung mit ‚Klimaneutralität‘ muss grundsätzlich untersagt werden. Hier muss die Bundesregierung wirksame EU- Gesetze einfordern.“
foodwatch
Quellen: Aldi Süd, Klimaneutralität bei Aldi, foodwatch, t-online
Recherche zu den Klimaschutzmaßnahmen bei der Aldi-Milch
Recherche zum Kompensationsprojekt in Guanaré, Uruguay (Aufforstung)
ZDF Frontal Beitrag „Klimaneutral mit Aldi? (21.6.)
Recherche zum Kompensationsprojekt in Tambopata, Peru (Waldschutz)
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