Strandfoto von 1905 widerlegt nicht den Klimawandel

Oder wird beim Vergleich von zwei Schnappschüssen einfach nur vernachlässigt, dass Jahreszeit, Gezeiten, Wassertemperatur usw. auch einen Einfluss auf den Wasserstand haben?

Autor: Sonja Bart

Die Behauptung

Zwei Fotos von Balmoral Beach in Sydney – eins von 1905, eins von 2019 – sollen beweisen, dass der Meeresspiegel nicht steigt

Unser Fazit

Messungen in unmittelbarer Nähe und am Hafen von Sydney zeigen: der Meeresspiegel ist in den letzten hundert Jahren kontinuierlich angestiegen

Der Klimawandel ist die größte, globale Gefahr des 21. Jahrhunderts. Schon jetzt sind zig Millionen Menschen auf der Flucht vor den Auswirkungen dieser Katastrophe mit Ansage. Während am afrikanischen Kontinent Hitze, Dürre und Wassermangel den Menschen zu schaffen machen, hat man am anderen Ende der Welt zu viel Wasser. Der steigende Meeresspiegel droht den ozeanischen Inselbewohnern, den Boden unter den Füßen wegzuspülen.

Aber vielleicht stimmt das ja gar nicht? Möglicherweise ist die Globale Erwärmung, das Schmelzen der Polkappen und die Ausdehnung der Ozeane aufgrund gestiegener Wassertemperaturen nur eine Einbildung? Der Vergleich von zwei Strandfotos bei Sydney beweist nämlich das Gegenteil? Spoiler: Nein, tut er nicht!

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Der Strand und die Meeresspiegel-Messstationen

Balmoral ist Teil des wohlhabenden Vorortes Mosman bei Sydney, Australien. Der Ort ist bekannt für seinen stadtnahen Strand, der sich offiziell in die beiden Abschnitte Balmoral und Edwards Beach unterteilt. Dazwischen ragt ein Felsen ins Wasser der Rocky Point genannt wird. Auf den beiden Strandfotos sieht man ein Stück vom Edwards Beach, den Rocky Point und die Mündung des Middle Habour in den Port Jackson.

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Edwards Beach (1), Rocky Point (2) und die Messstation Nr. 2358 – Sydney Port Jackson (3)

An einem Steg genau im Mündungsbereich wird seit 1987 eine Messstation des Permanent Service for Mean Sea Level (PSMSL) betrieben. Die Aufzeichnungen der monatlichen und jährlichen Mittelwert des Meeresspiegels an dieser Stelle finden sich auf der Website des PSMSL. Der Aufwärtstrend der Messwerte lässt sich bereits gut erkennen.

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Monatliche (blau) und jährliche (rot) Mittelwerte an der Station 2358 – Sydney Port Jackson

Vier weitere solcher Messstationen wurden und werden im Hafenbereich von Sydney und der Botany Bay betrieben, die ältesten bei Ford Denison bereits seit 1886. Das folgende Diagramm zeigt den monatlichen Mittelwert des Meeresspiegels an der Messstelle ohne die regelmäßigen saisonalen Schwankungen, die auf die Temperatur, den Salzgehalt, die Winde, den Luftdruck und die Meeresströmungen an der Küste zurückzuführen sind. Der langfristige lineare Trend ist ebenfalls dargestellt, einschließlich des 95-%-Konfidenzintervalls.

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Monatliche Mittelwerte und der Trend (rot) über 136 Jahre Messgeschichte

Im Schnitt steigt der Meeresspiegel im Sydney Harbour um 0,75 Millimeter pro Jahr. Beim nur etwa vier Kilometer entfernten Balmoral Beach wird der Wert wohl nur geringfügig abweichen. Nimmt man wieder die beiden Fotos von 1905 und 2019, dann ergibt sich eine Erhöhung des Meeresspiegels um etwa 86 mm. Moment noch…

Einflussfaktoren auf den Wasserstand

Das historische Strandfoto zeigt eine sommerliche Badeszene und die Farbaufnahme entstand Mitte Oktober. Macht der Monat vielleicht auch einen Unterschied? Ja, das tut er: um bis zu 94 Millimeter. Im oberen Diagramm wurden die saisonalen Schwankungen herausgerechnet. Sie sehen im Jahresverlauf so aus:

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Nicht vergessen, auf der Südhalbkugel beginnt der Sommer im Dezember

Neben diesen saisonalen Schwankungen, die sich wie gesagt auf die Temperatur, den Salzgehalt, die Winde, den Luftdruck und die Meeresströmungen an der Küste zurückführen lassen, gibt es noch eine weitere massive Einflussgröße: die Gezeiten. Der größte in Sydney gemessene Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser betrug 2,0 Meter. Heute (13.12.2022) beträgt er 1,0 Meter.

Und was bedeutet diese Erkenntnis für den Vergleich der beiden Strandfotos? Je nach Gezeiten und saisonalen Schwankungen kann der Wasserstand am Balmoral Beach sehr unterschiedlich ausfallen. Würde man den genauen Tag und die Uhrzeit der Aufnahmen kennen, könnte man den jeweiligen Wasserstand berechnen. Ohne dieses wichtige Detail haben die Strandfotos keinerlei Aussagekraft.

Ähnliche Behauptungen und ihre Widerlegung

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Noch ein weiterer Bildvergleich, der gerne geteilt wird, möchte aufzeigen, dass der Meeresspiegel im Hafen von Sydney nicht angestiegen ist. Ein Faktencheck der USA Today macht klar: Das stimmt nicht!

Die Wasserlinie im Hafen schwankt täglich aufgrund des Gezeitenwechsels, und die Fotos enthalten keine Informationen über den Gezeitenstand zum Zeitpunkt der Aufnahme der Fotos. Gezeitenpegel und andere Aufzeichnungen zeigen, dass der Meeresspiegel im Hafen von Sydney in den letzten 90 Jahren stetig gestiegen ist, wenn auch langsamer als an anderen Küsten der Welt.

Fact check: Sea levels at Sydney Harbor are rising, data shows
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Fotos von Fort Denison im Sydney Harbour von 1878 und 2018

Nicht direkt ein Strandfoto: Die Faktenchecker von Reuters haben sich den Bildern von Fort Denison angenommen und haben mehrere Experten gefragt, was sie zu den Fotos und der Behauptung sagen. Das knappe Fazit: „Falsch. Es ist nicht möglich, den Anstieg des Meeresspiegels genau zu messen, indem man einfach zwei Fotos vergleicht.“

Stellen Sie sich vor, das erste Bild wurde bei Flut aufgenommen und das zweite bei Ebbe. Die scheinbare Veränderung könnte wie ein sinkender Meeresspiegel aussehen, während der Meeresspiegel in Wirklichkeit langsam ansteigt! Die Komplexität der Veränderungen des Meeresspiegels machte den Einsatz eines Netzes von kontinuierlich messenden Gezeitenmessgeräten auf der ganzen Welt erforderlich, das nun durch Satelliten ergänzt wird, die den Meeresspiegel ständig überwachen.

Beata Csatho, Professorin und Lehrstuhlinhaberin für Geologie an der University at Buffalo und Mitglied des Teams für Meeresspiegelveränderungen der NASA, zu Reuters

Strandfoto: Palm Beach und der menschliche Faktor

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Und nochmals ein Strandfoto in der Nähe von Sydney. Diesmal Palm Beach, etwa 40 Kilometer nördlich des Stadtzentrums. Hier kommen mehrere Phänomene zusammen, die sich auf der Form der Küstenlinie auswirken, wie Lead Stories schreibt:

In Palm Beach gibt es täglich zwei Hoch- und zwei Niedrigwasser, wobei sich der Wasserstand in der Regel alle sechs Stunden um etwa 1,75 Meter ändert, was die scheinbare Breite der Landenge verändern kann. Nicht nur die Gezeiten verändern ständig die Wasserlinie an der Küste – auch der Strand selbst ist variabel und kann durch Stürme, Meeresströmungen, Küstenabdrift und Handlungen von Menschen verändert werden, was die seitliche Bewegung von Sand und Sedimenten, die den Strand bilden, verändern kann.

Fact Check: Historic Photos Of Sydney’s Palm Beach Do NOT Prove Climate Change Is ‚Hoax‘

Der australische Daily Telegraph hat noch zwei weitere interessante Fakten zu Palm Beach (inkl. historischer Strandfotos) herausgefunden: Die Halbinsel war früher einmal eine Insel und der verbindende Land- und Sandstreifen hat sich erst im Laufe von tausenden von Jahren durch Ablagerungen herausgebildet. Und der zweite Fakt betrifft direkt die Fotos der Falschbehauptung: Intensive menschliche Nutzung seit der Ankunft der ersten Flotte hinterließ deutliche Spuren am Strandabschnitt. In nur 100 Jahren halbierte sich die Höhe der Landenge von 10 bis 12 Meter (1876) auf 5 bis 6 Meter (1977).

Glücklicherweise wurde in den 1970er und frühen 1980er Jahren die Dynamik der Landenge erforscht, und es wurden Sanierungsarbeiten durchgeführt, um den Sand zu stabilisieren. Bulldozer wurden eingesetzt, um die Landenge neu zu formen, es wurden umfangreiche Anpflanzungen mit verschiedenen Arten von Dünengräsern, Bäumen und Sträuchern vorgenommen und der Zugang für Autos wurde eingeschränkt. Auch wenn die Landenge vielleicht nie wieder ihre Ausdehnung von vor 1788 erreichen wird, so ist doch zumindest das, was von dem geologisch bedeutenden Teil der Halbinsel übrig geblieben ist, gerettet worden.

Daily Telegraph, 19.12.2014

Fazit: Zwei Strandfotos ohne Datum und Uhrzeit beweisen gar nichts. Denn sehr viele Faktoren wirken sich auf die Küstenlinie eines Strandabschnittes aus: Gezeiten, saisonale Schwankungen, menschliche Nutzung und weitere mehr. Das einzige, das eine echte Aussagekraft hat, sind regelmäßige Messungen. Und diese zeigen leider, dass die Meeresspiegel weltweit steigen.

Sydney und der Balmoral Beach stehen dabei noch relativ gut da, wie die Simulation steigender Pegelstände Coastal Risk Australia 2100 zeigt. Länder wie Bangladesch sind davon viel schwerer betroffen: Ein dortiger Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter würde nämlich fast 20 Prozent des Landes überfluten und mehr als 30 Millionen Menschen zur Flucht zwingen.


Quellen: PSMSL, NOAA Tides & Currents, USA Today, Reuters, Lead Stories, Daily Telegraph, Coastal Risk Australia 2100, Scientific American, Gezeiten Fisch

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Hinweise: 1) Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell
war. Die Wiedergabe einzelner Bilder, Screenshots, Einbettungen oder Videosequenzen dient zur
Auseinandersetzung der Sache mit dem Thema.


2) Einzelne Beiträge (keine Faktenchecks) entstanden durch den Einsatz von maschineller Hilfe und
wurden vor der Publikation gewissenhaft von der Mimikama-Redaktion kontrolliert. (Begründung)


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